Selfies und andere Geschichten zur Innen- und Aussenschau

 

Guten Tag,

natürlich sind die Selfie-Stangen-Tragenden-Touris aller Orten ein willkommenes Objekt für Ironie und Witz. Sie stehen vor der Mona Lisa im Louvre in Paris, vor dem Nereiden Tempel im British Museum London, in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, vor den berühmten Kirchenfenstern in Chartre, vor dem Orakel in Delphi – und fotografieren sich selbst!

Auch wenn Sie vielleicht keine Selfies aufnehmen. Die ständige – äussere – Selbstkontrolle und Selbstvergewisserung scheint einen grossen Teil der Wahrnehmung in unseren westlichen Zivilisationen zu binden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie spricht davon, dass Frauen ca. 51mal – und Männer ca. 18mal am Tag einen sogenannten „Bodycheck“ vornehmen – an Spiegeln, Schaufenstern, oder in direkter Prüfung, ob man denn der immer stärker geforderten Idealfigur aus Werbung und Medien entspricht.

Wieviel Aufmerksamkeit bleibt da noch für das Gegenüber? Welche Wahrnehmungsfähigkeit ist für die Situation vorhanden, in der man sich befindet, für ästhetische Wertmassstäbe, die über rein äusserliches hinausgehen?

Nun gibt es in der Psychologie der Persönlichkeitsentwicklung das Wissen um ein Resonanzprinzip, in dem uns das Leben spiegelt, wer wir sind und was wir denken. Dazu dient auch die sogenannte „Spiegelarbeit“, in der die Konfrontation mit dem eigenen Selbst aber gerade die äussere Hülle und alle damit verbundenen Bewertungen hinter sich lässt, um zur wirklichen Selbstliebe zu finden, die durch keinerlei Leistung begründet werden muss. Sich so in die Augen zu sehen, erfordert essentielles und substanzielles Einverständnis mit dem eigenen Sein und fällt fast allen Menschen erst einmal sehr schwer. Im Vergleich wird erlebbar, dass die scheinbar selbstverliebten Selfie-Aufnahmen sehr wenig mit echter Selbstliebe zu tun haben.

Design und Kunst sind zwei Parameter, in denen sich diese verschiedenen Arten von Innen- und Aussenschau ebenfalls gut unterscheiden lassen. Gutes Design ist wunderbar und verschönert unser Leben (ebenso wie das Gefühl von gutem Aussehen die Laune verbessert). Kunst führt tiefer zur Selbsterkenntnis. Manchmal wirkt sie auf den ersten Blick gar nicht schön, versperrt sich vielleicht der üblichen Einordnung. Und fordert uns gerade damit auf die Herkunft unserer Werte und Einstellungen zu hinterfragen. Sie kann an Gefühle und Erkenntnisse rühren, die zum inneren Kern des eigenen Wesens führen.

Wer sind Sie wirklich, welche Vorstellung/ Vision, welches Selbstbild treibt Sie an – wenn Sie sich nicht von aussen ansehen und bewerten?

Mit herzlichen Grüssen

Ihre Eva Mueller

 

 

Im ersten Teil des Wettbewerbs „Kunst am Bau“, den ich für den Münchner Flughafen durchführen durfte, wird nächste Woche eine Skulptur von Hubert Maier für den Namensgeber Franz Josef Strauss anlässlich seines 100. Geburtstags aufgestellt. Selbst leidenschaftlicher Pilot, engagierte er sich in seiner Zeit als Ministerpräsident für die Vision eines Münchner Flughafens, der sich auch durch herausragende Werke zeitgenössischer Kunst auszeichnet.
Dieses Portrait versucht der äusserst umstrittenen und vielschichtigen Persönlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes gerecht zu werden. Sie ist aus fast 100 Schichten aufgebaut, die sowohl der prägnanten Physiognomie, als auch der divergierenden inneren Seiten gerecht wird.

Die Portraitkunst gehört zu den ältesten Ausdrucksformen der bildenden Kunst. Auch die Selbstbefragung und -vergewisserung hat eine lange Geschichte. Sowohl im Selbstportraits der Künstler/innen, bei den verschiedenen Familienportraits der Königshäuser, aber auch den „Touristenportraits“ von vorwiegend englischen Reisenden, die sich in Rom vor antiken Relikten abbilden liessen (allerdings sieht man in diesen Bilden, anders als im Selfie, auch die Sehenswürdigkeit), erkennen wir dieses Phänomen. Stets wurden die Künstler/innen daran gemessen, wie gut es ihnen gelang, in der lebensnahen Abbildung äusseres Erscheinungsbild und inneres Wesen sichtbar darzustellen. Hubert Maier ist dies mit seinem Werk für den Flughafen München auf meisterliche Weise gelungen (hier ist die Arbeit gerade noch im Atelier, vor dem Abtransport, zu sehen).

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