Es ist eine alte Geschichte. Ein bis heute aktuelles Verbrechen: Susanna, eine verheiratete junge Frau wird von zwei Männern, eigentlich angesehene Richter, beim Bad überrascht. Sie weigert sich auf deren sexuelle Nötigung einzugehen. Aus Rache bezichtigen sie die beiden Alten des Ehebruchs mit einem jungen Mann. Zur damaligen Zeit hätte das den Tod der Frau bedeutet. Im Alten Testament (Daniel 13,1-64) geht die Geschichte glücklich für Susanna aus. Der Prophet Daniel überführt die Männer in getrennten Verhören der Lüge.
Dieses Motiv greifen Künstlerinnen und Künstler seitdem immer wieder auf. Mit unterschiedlichsten Beweggründen. Lange Zeit waren Aktdarstellungen nur in religiösem Kontext möglich. Dementsprechend suchten etliche Bilder das Verbrechen zu verharmlosen. Den Voyeurismus der Auftraggeber zu befriedigen. Womit wir als Betrachter:innen Teil des Übergriffs werden. Diese Doppelbödigkeit wird in einigen Gemälden zum Thema.
2021 registrierte die Polizei 106.656 Fälle gegen sexuelle Selbstbestimmung und 9.903 Vergewaltigungen von Frauen. Die Dunkelziffer liegt nach Einschätzung des Bundesfamilienministeriums bei 75-80%. (Kriminalstatistische Auswertung 2021 Bundeskriminalamt). Nach so vielen Fällen heute, aufgedeckt durch die MeToo Bewegung, ist es dem Wallraf-Richartz-Museum in seiner Ausstellung „Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ gelungen, zu diesem brandaktuellen Thema die hochklassigsten Leihgaben mit ihren vielschichtigen Bildtraditionen zu versammeln.
Umso erstaunlicher, dass es dazu bisher weltweit keine Ausstellung von Seiten der Kunst gab. Also eine Weltpremiere in Köln. Trotz des schwierigen Themas: Ein Glück, so viele hochkarätige Werke an einem Ort betrachten zu können. Zudem hat gerade die MeToo Debatte gezeigt, wie der Fokus auf diese Problematik den gesellschaftlichen Wandel voranbringen kann. Kunstwerke ermöglichen uns selbst Teil der Szenerien zu werden. Erst wenn wir uns empathisch einfühlen, verändern sich Einstellungen.
Mit bewegtem Gruss
Ihre Eva Mueller

Abb.: Anthonis van Dyck, Susanna und die beiden Alten, um 1622/23, 194 x 144 cm, Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek, München
Eine sehr sensible und einfühlsame Darstellung der Susanna von einem noch ganz jungen, männlichen Maler Anthonis van Dyck im 17. Jh. Er lässt uns den Schrecken und die drohende Brutalität der Alten nachempfinden.

Kathleen Gilje, Susanna and the Elders, Restored, 1998, 170,18 x 119,38 cm, Öl auf Leinwand, Addison Gallery of American Art, Phillips Academy, Andover, Massachusetts, museum purchase, 2011.49a.b & Rechts: Kathleen Gilje, Susanna and the Elders, Restored, 1998, 171,45 x 120,65 cm, 15 Bögen Röntgenfilm auf Plexiglas aufgezogen, Addison Gallery of American Art, Phillips Academy, Andover, Massachusetts, museum purchase, 2011.49a.b
Sicher ist diese Darstellung von Susanna eine der bekanntesten der Kunstgeschichte. Sie stammt von Artemisia Genitleschi, berühmte Künstlerin des 17. Jh., die selbst Opfer einer Vergewaltigung wurde. Auf der linken Seite sehen wir eine zeitgenössische Kopie dieses legendären Werkes von Kathleen Gilje, einer zeitgenössischen Künstlerin und Restauratorin, die es mit einer konstruierten Röntgenaufnahme ergänzt. In diesem Fall weniger, um die Vorzeichnung zu sehen, als die emotionale Reaktion auf das Geschehen.

In der „New York Times“ erscheint der erste Artikel zu sexuellem Missbrauch und jahrzehntelanger Vertuschung in der Filmindustrie Hollywoods. Zu verdanken ist dies den Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor – und dem Mut der ersten Frauen, die öffentlich Anklage erhoben. Und damit den Stein ins Rollen brachten. Weltweit und in vielen Branchen.
Abb: Genial, wie hier die beklemmende Situation der Frau dargestellt wird, die wohl zu einem Vorstellungsgespräch gekommen war. Wie erschrocken sie wahrnimmt, dass ein nicht weiter identifizierbarer Mann die Jalousien schliesst. Ein nach gängigem Muster Erfolgsmensch, wie die Pokale auf der linken zeigen. Und das Plakat darüber, auf dem die Frau überwältigt scheint. So subtil und treffend kann das alles gleichzeitig nur grossartige Kunst vermitteln.
Sehr zu empfehlen: Der Film von Maria Schrader „She Said“, in dem wir die aufreibende Recherche der Journalistinnen kennenlernen – und die schwierige Position der betroffenen Frauen ihr Problem öffentlich anzusprechen. Weil bis dato die Karriere der Opfer zu Ende war – nicht die der Täter.