Ungeduld

 

Guten Tag,

heute kaum vorstellbar ist, dass an einer seltenen und kostbaren Tapisserie manch‘ künstlerisch begabte Nonne ein Leben lang webte und stickte. Ein Leben – ein Werk. Nie wäre uns das genug! Was alles könnten wir dabei versäumen? Auch wenn der Hype ums Multitasking mittlerweile abflaut, weil man die Nervenbündel erlebt, die alles gleichzeitig machen wollen und in keinem Moment mehr wirklich DA sind.

Ungeduld ist weit verbreitet. Jede Sekunde schnelleres IT-Netz wird genutzt. Fünf bis zehn Minuten Verspätung bei der Bahn bringen unseren ganzen Zeitplan durcheinander. Gibt es einen Moment der Stille, eine Sekunde, in der wir einfach wahrnehmen könnten, wo und wie wir uns gerade befinden, kann diese Zeit doch besser genutzt werden, um noch schnell die mittlerweile überall abrufbaren Mails zu checken.

Künstler/innen gehen oft den genau umgekehrten Weg. Es braucht schon einmal viel Geduld, nicht gleich mit den erstbesten Werken an die Öffentlichkeit zu treten. 10 Jahre intensive, professionelle Aus-Bildung und Übung dauert es mindestens, um eine annähernd eigenständige Handschrift zu entwickeln (besondere Begabung vorausgesetzt). Die damit erreichte Qualität zu halten und ständig weiterzuentwickeln, ist auf jeden Fall eine Lebensaufgabe, die von niemand „nebenher“ erfüllt werden kann.

Gerade die wirklichen Meister/innen ihres Fachs sind unermüdlich in ihrem Tun und wissen, wie viel Geduld und Zeit es braucht, um Grossartiges hervorzubringen. Wie viele Monate und Jahre stecken in einem fotorealistischen Bild von Franz Gertsch? Wie viele hundert Lasuren legt die Künstlerin Elisabeth Mehrl übereinander, bis ein Gemälde ihrem kritischen Blick standhalten kann und als vollendet anerkannt wird? Wie viele Stunden übt der Ausnahmepercussionist Martin Grubinger täglich – und findet immer noch Verbesserungspotential? Wieviele Tage sitzt der Künstler Kristof Georgen an einem seiner „Kugelschreiber“ Bilder, auf denen er in Millimeter-Abständen Linie für Linie zieht?

Die Werke dieser Künstler/innen ziehen uns in ihren Bann. Wir spüren die essentielle Tiefe, Ruhe und Kraft in ihren Werken, eine unbeschreibliche Qualität, die dieser unbeirrbaren Geduld erwächst.

Mit begeistertem Gruss

Ihre Eva Mueller

 

 

Jede herausragende Fähigkeit beinhaltet ihren Gegensatz. Frei ist, wer beide Pole kennt und je nach Situation zu handhaben weiss. So hat gerade die in ihren Arbeitsprozessen sehr geduldige Elisabeth Mehrl mit ihrem „Rosenkranz“ der Ungeduld ein wunderbar ironisches Werk geschaffen.

Man muss auch wissen, in welcher Situation die Geduld ein Ende haben muss!

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