Medusa – Schönheit, Schrecken und Tabu

Guten Tag,

Medusen sind ja eigentlich Quallen, wunderschöne Meereswesen, aber wenn man ihnen zu nahe kommt, verursacht ihr Gift einen brennender Schmerz.

Über die mythologische Geschichte der Medusa gibt es verschiedene Versionen. Bei Ovid ist sie die Tochter der Meeresgottheiten Phorkys und Keto. Ihre atemberaubende Schönheit bringt Poseidon dazu, sie in Pferdegestalt ausgerechnet im Tempel der überzeugt jungfräulichen Pallas Athene zu überwältigen (wobei das Ausmass der Gewalt unbeschrieben bleibt). Athene entdeckt sie dabei und verzaubert aus Neid und Wut – nein, nicht Poseidon – sondern Medusa! Und nicht nur sie, sondern auch gleich ihre zwei Schwestern, also alle drei sogenannte Gorgonen. Nun spriessen Schlangen statt Haare aus ihrem Kopf, Reisszähne verformen ihren Mund, Schuppen bedecken ihren Körper, die Augen werden zu glühenden Funkeln und um das Mass voll zu machen, hängt nun auch allen dreien die Zunge heraus. Natürlich lässt dieser Anblick in Zukunft jeden Mann zu Stein erstarren!

Nun kommt auch noch Perseus ins Spiel. Um Polydektes, den ungeliebten Freier seiner Mutter Danae abzuwehren, verspricht er ihm, das Haupt Medusas zu bringen. Dies ist wohl nicht als wohlfeiler Tausch gedacht, denn Polydektes geht selbstverständlich davon aus, Perseus würde bei dieser Mission umkommen und er hätte endlich freie Bahn zu Danae.

Aber wieder mischt sich Athene ein. Sie leiht Perseus ihren verspiegelten Schild und gibt ihm auch sonst allerlei Tipps, wie er Medusa finden und überwältigen kann. So gelingt es ihm tatsächlich, die Herrscherin der Gorgonen zu enthaupten. Wobei, von Poseidon schwanger, aus Medusas Körper das erste geflügelt Pferd, Pegasos und der Riese Chrysaor entspringen.

Nach wie vor jedoch bewirkt der Anblick des Hauptes von Medusa, dass Männer erstarren, was Perseus bei seinen Kämpfen auf dem Rückweg nach Hause weitlich ausnutzt. Schliesslich heftet sich Athene selbst die Trophäe als besonderen Schutz auf ihren Schild.

Welche Idee, welche Symbolik steckt nun hinter all diesen Verwicklungen? Mythen und Geschichten erhalten ja erst Sinn mit ihrer Entschlüsselung der dahinter liegenden Werte, gesellschaftlichen Regeln und Schilderungen von Wandel und Veränderung, die über mehrere Generationen weitererzählt werden. Der Dichter Hesiod beschreibt die Gorgonen (die Schrecklichen) als Urgötter, Symbole der weiblichen Macht, die lange vor den griechischen Göttern existierten. Daher nehmen auch einige Historiker/innen an, dass mit dieser Erzählung der Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat geschildert wird, die Gorgonen nachträglich dämonisiert in ihrer göttlichen Herrscherinnenrolle über Leben und Tod.

Vielleicht haben wir es hier auch mit einem Tabu zu tun, das genaueres Hinsehen verbietet? Mit dem Versuch Erkenntnis über die Abgründe in sich selbst und anderen zu verhindern? Spiele mit den Klischeebildern des Weiblichen, Anziehung und Abstossung sind uralte Themen – nicht nur in der Kunst. Sie haben sich so lange gehalten, weil sie wohl noch immer interessante Einsichten in die Menschheitsgeschichte und neue Interpretationsmöglichkeiten bieten. Wie nahe liegen Schönheit und Schrecken beieinander?

Mit herzlichem Gruss
Ihre Eva Mueller

Abb. Annamaria Zanella, Brosche, Spirale, 1998, Diamant, 62 x 15 mm

Das Musée D’Art Moderne da la ville de Paris spielt genau mit dieser Ambivalenz von Schönheit und Schrecken in der aktuellen Ausstellung „Medusa – Schmuck und Tabu“. Welche „Juwelen“ lassen Frauen so schrecklich schön erscheinen, dass Männer erstarren?

Über 400 Schmuckstücke von Anni Albers, Man Ray, Meret Oppenheimer, Alexander Calder, Louise Bourgeois, Niki de Saint Phalle und weiteren Künstler/innen zeigen die Ambivalenz und Zwischentöne von Kunst, Schönheit, Skulptur und Tabu.

Die Ausstellung läuft bis 5. November 2017.

Abb. Medusa Salvador Dali, Copyright Fundacio Gala-Salvador, Adagp Robin Hill  (Foto war nur während Ausstellungszeit freigegeben)

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