ICH WERDE VERWANDELT SEIN

Es gab eine tiefe Sinnkrise im Leben von Johannes Stüttgen. Eigentlich begeisterte ihn die Kunst schon von Kind an. Doch in der Pubertät begann er zu zweifeln und wandte sich der Theologie zu. Er hatte das Gefühl „Kunst liefert dir keine Auskunft über deine wirklichen Fragen“.

So wurde er Student bei Josef Ratzinger. Damals noch weit entfernt von seiner späteren Berufung zum Papst. Er schätzte ihn. Fand aber auch hier keine Antworten, die ihn befriedigt hätten.

„Beuys hat mich gerettet“ sagt Johannes Stüttgen. Ausgerechnet Beuys? Denken Sie jetzt vielleicht. Warum denn das? Viele Menschen lehnen ihn völlig ab. Kennen nur Geschichten über die Zerstörung der Fettecke – die übrigens Johannes Stüttgen gehörte. Glauben vielleicht noch immer: Beuys war halt ein Spinner. Haben noch nie die einfühlsamen Zeichnungen und Aquarelle, die intensiven Performances gesehen und Diskussionen gehört.

Stüttgen ging es um die Suche nach dem Sinn. Seiner Aufgabe im Leben. Beuys veränderte den Kunstbegriff auf tiefgreifende Weise. Und half seinen Student*innen dabei („wie eine Hebamme“, meint Stüttgen) herauszufinden, was sie wirklich zum Ausdruck bringen wollen. Also ihren Sinn, ihre ureigenste Vision zu finden.

Genau das meinte Beuys mit seinem „Erweiterten Kunstbegriff“ und dem meist falsch interpretierten Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Jede*r sollte zu sich selbst finden. Den Punkt entdecken in dem er /sie auch wirklich kompetent ist, einen individuellen Beitrag in unserer Gesellschaft zu leisten. Also eine Verwandlung herbeizuführen. In diesem Sinne Künstler*in. Damit war nicht gemeint, dass nun alle malen und das als Kunst bezeichnen sollte. Eine grauenvolle Vorstellung für alle Kunstliebhaber*innen! Nein, der Kunstbegriff definiert ja gerade den höchsten Qualitätsanspruch – und wird auch deshalb gern so inflationär für alles verwendet.

Der 100. Geburtstag von Joseph Beuys in diesem Jahr wird mit unzähligen Ausstellungen und Veranstaltungen gefeiert. Wie kann sein „Erweiterter Kunstbegriff“ Sie und mich verwandeln? Vielleicht mit diesen Fragen:
Worin sind Sie absolut kompetent? In welchem Bereich können Sie für uns alle etwas in unserer Gesellschaft zum Besseren verwandeln?

Mit herzlichem Gruss
Ihre Eva Mueller

 

Zu den Feiern von Joseph Beuys 100. Geburtstag gehören auch einige Veranstaltungen mit Johannes Stüttgen, seinem Meisterschüler, dem man gerne zuhört – weil er die Essenz dieser neuen Kunstauffassung zutiefst verstanden hat und vermittelt kann.

Sie können ihn hier in einem sehr interessanten „Eins zu Eins. Der Talk mit Achim Bogdan“ im Rundfunk BR 2 hören: https://www.br.de/mediathek/podcast/eins-zu-eins-der-talk/johannes-stuettgen-kuenstler/1838086

 

Abb.: Ausstellungsansicht „Zeige deine Wunde“ von Joseph Beuys im Lenbachhaus München, 1974/75

Zu den berühmtesten Arbeiten von Joseph Beuys gehört die Installation „Zeige deine Wunde“ im Lenbachhaus München. Höchst aktuell in diesen zwei Jahren der Pandemie, die uns auf die Fragilität und Verletzlichkeit unseres Lebens verweist – und das damit verbundene, nötige Mitgefühl.

Nicht selten führt uns der Mut, die eigene Wunde anzuerkennen, zu einem tieferen Verständnis in welchem Bereich wir wirklich kompetent sind.

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