VOLLKOMMENE FORM
Guten Tag,
es ist die einzige Form, deren Umriss an jeder Stelle den gleichen Abstand zum Mittelpunkt hat. Als geschlossene Linie ist sie das Symbol für Unendlichkeit. Urform von Erde, Sonne und Mond. Der Kreis. Die Scheibe. Das Rad. Der Ring. Die Kugel. Eine vollkommene Form.
Wir sehen sie in den Planeten, den Blüten, vielen Früchten, in der Iris unserer Gegenüber.
Wer im Kreis sitzt kann alle sehen und wird von allen gesehen. Der Versuch einer Begegnung auf Augenhöhe. Eines Dialogs von Gleichgestellten. Bis heute funktioniert dieses archaische Grundmuster. In stärkerem Masse noch, wenn sich die Gemeinschaft um ein Feuer gruppiert.
Nicht umsonst finden wir in unzähligen Kunstwerken aller Zeiten die Urform des Kreises. Denken wir nur an die ersten Höhlenmalereien, Steinkreise, Labyrinthe. Religiöse und ästhetische Ornamentik, Kubismus und Abstrakte Kunst wären ohne diese Form undenkbar.
Niemand weiss, wer sie als erstes in Schwung versetzte, wer das Rad erfand und vor sich hertrieb. Aber die Bewegung ist in dieser vollkommenen Gestalt schon immer enthalten.
Mit diesem Gestus entstehen auch die grossen Zeichnungen von Dorothea Reese-Heim. Doppelrotationen, Kreise, die ineinanderlaufen. In immer gleicher, meditativer Schwungbewegung der Hand dreht sie das Papier und setzt mit Graphitstiften, Buntstiften und Kreisen Linie auf Linie. Es entsteht eine unwiderstehliche Tiefenwirkung. Ein grossartiges Beispiel für die vollkommene Form der Kreise.
Begeisterte Grüsse
Ihre Eva Mueller
Abb: Dorothea Reese-Heim, „Doppelrotation Nr. 4, Handzeichnung auf Papier 2010, Graphitstift, Buntstift, Kreide, 200 x 150 cm
Die Ausstellung „An der Grenze zum Schatten“ von Dorothea Reese-Heim in der Katholischen Akademie Bayern in München ist bis zum 17. Juli 2020 zu sehen und zeigt die faszinierende Vielfalt ihrer künstlerischen Ausdruckmittel, Papierbeiten, Lichtobjekte, Versiegelte Schriften und das Video „Klangrosetten“, in dem sie Töne in visuelle Blütenformen übersetzt.
