Guten Tag,

dem Wort „Urteil“ genauer nachspürend, wird dessen Unerbittlichkeit deutlich. Ein Urteil fällen. So wie man einen Baum fällt. Einen Richterspruch erteilen und vollstrecken. Er kann milde, vernichtend oder endgültig sein.

Wir urteilen, um Entscheidungen zu treffen. In alltäglichen Angelegenheiten welches Brot wir bevorzugen – oder in unserem Arbeitsbereich. Und: Wir machen es dauernd. Sie und ich. Ich versuche die qualitatitv, inhaltlich und ästhetisch beste Kunstauswahl für meine Auftraggeber und deren ganz spezifische Inhalte, Zielgruppe, Architektur zu finden.

Ganz klar, da bleibt nur ein kleiner Pool übrig. Für Wettbewerbe Kunst am Bau in öffentlichen Institutionen sehe ich mir einige Hundert, manchmal auch zweitausend Künstler/innen an, durchforste meine Archive, recherchiere im Internet, blättere endlos Kataloge. Dann bleiben vielleicht 5 oder 7 oder 10 Künstler/innen übrig, die für diese ganz spezielle Aufgabe am kompetentesten erscheinen und zum Wettbewerb eingeladen werden.

Gerade weil ein Urteil oft sehr schnell gefällt wird, ist es umso wichtiger, sich immer wieder ganz bewusst offen zu halten. Nicht zu schnell einzuordnen. Vielleicht ist etwas so unerhört neu und innovativ, dass es eben nicht mit den bisherigen Vorstellungen zu erfassen ist.

Ganz gefährlich wird es, wenn wir beginnen Menschen zu beurteilen. Selbstverständlich müssen wir entscheiden, mit wem wir zusammen arbeiten und leben wollen. Im weiten Netz des Internets ist es so selbstverständlich geworden, alles ständig zu bewerten, dass gar nicht mehr auffällt, wie unangemessen und schädlich dieses Verhalten ist. Ja genau, die hochgelobte Kritik und Feedback-Kultur ist häufig kontraproduktiv.

Die Topmanagementberaterinnen und Autorinnen Dorothee Echter und Dorothea Assig („Ambition“ und „Freiheit für Manager“) bringen es auf den Punkt: „Kritik beflügelt die Menschen leider nicht. Im Gegenteil: Sie kränkt nachhaltig, sogar dann, wenn sie explizit eingefordert wurde. Das Gehirn dreht dann unendliche Mangelschleifen, singt Rechtfertigungsarien, malt sich Fehler-anderen-zuschreiben Szenarien aus, schmiedet Rachepläne… und ist damit völlig ausgelastet. Manchmal für lange Zeit. Es bleibt kein Platz mehr für Neugierde, Fantasie, Ideen, Mut, Grossherzigkeit, Intelligenz, Weitsicht, Klarheit.“

Die Lösung heisst: Orientierung bieten, sachliche Anliegen in den Mittelpunkt stellen und immer in der gegenseitigen Wertschätzung bleiben. Gerade wenn man etwas beurteilen muss.

Mit herzlichem Gruss
Ihre Eva Mueller

 

„Bevor er zum Superstar wurde, kämpfte Pablo Picasso mit denselben Krisen, die auch heute noch viele Künstler plagen: kein Geld, keine Galerie, keine Anerkennung“ schreibt Ute Thon über eine Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen, Schweiz, die sich zwei frühen Phasen im Werk Pablo Picassos widmet, der blauen und rosa Periode. Heute würde niemand sein Genie in Abrede stellen. Doch in seinen frühen Jahren stiess Picasso gerade mit seinem Potential ganz neue Stile in die Malerei einzuführen auf Ablehnung und vernichtende Urteile.

Zum ersten – und in dieser Zusammenstellung wahrscheinlich einzigen Mal – bietet die Ausstellung bis zum 26. Mai 2019 einen grossartigen und sehenswerten Überblick.

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