Kunst bricht verrostete Strukturen auf
Von Oliver Schreib, Münchner Merkur

Die Konzeptionistin Eva Müller aus Grünwald
bringt Künstler und Unternehmen zusammen

Grünwald – Das schief stehende Bronzepferd am Ortseingang oder der steinerne Adler am Schlittenberg, dem das Beiwort „Geier“ verpasst wurde, gefallen der Kunstkennerin Eva Müller ehrlich gesagt gar nicht. Vor 19 Jahren hat sie sich trotzdem für eine Bleibe in Grünwald entschlossen. Bis heute ist sie darüber froh. „Ich liebe die Stille und Zurückgezogenheit, die ich hier finde“, erläutert die Konzeptionistin. Ihr Beruf verlangt ihr viel ab. Seit 15 Jahren berät sie nun Firmen sowie Privatleute in der Frage, welche Form der Kunst die eigene Identität stärkt oder wie sie die Leistung der Mitarbeiter steigert oder das Bild der Kunden beeinflusst.

Es ist eine Art alternative Unternehmensberatung, die mehr Effizienz – auf unkonventionellem Wege – anstrebt. „Die neu gewonnene Unternehmenskultur kann auch zu einem ethischeren Miteinander führen“, so Müller. Die Kunst kennt laut der Expertin das Selbstverständliche nicht und bricht immerwährend verrostete Strukturen auf. Für ein Unternehmen sei diese Philosophie unter Umständen genau der richtige Weg zur Selbsterneuerung. „Was passiert, wenn ich einfach mal alles auf den Kopf stelle?“ Dieser für die Kunst so nötige Ansatz dürfte im Unternehmen zunächst auf Widerstand treffen. Trotzdem könnte die Auseinandersetzung fruchtbar enden – „indem ein Raum zur Entfaltung des geistigen Freiraums geschaffen wird“. Die Grünwalderin schließt sich hier dem Schweizer Künstler Max Bill an, der seine Ansicht zugespitzt vorträgt: „Jeder, der in der Wirtschaft Verantwortung übernimmt, sollte die Wahrnehmungsschule der Kunst besucht haben.“ Eine Provokation? Natürlich, warum denn nicht?

Als studierte Sozialpädagogin, die an der Münchner Kunstakademie eine Ausbildung absolvierte, kennt sie sich nicht nur in Fragen des Geschmacks aus. Sie unterscheidet Gefälliges von Garstigem, Dekoratives von Gehaltvollem nach objektiven Maßstäben, aber das ist noch nicht alles. Die Wahrnehmung, die Interaktion des Betrachters mit dem Bild, des Bankkunden mit dem Objekt und des Gemäldes mit der Anlage sind mitbestimmend bei der Auswahl. Gemäß diesen Parametern werden die Künstler ausgesucht, die zum Unternehmenskonzept passen. Es stellt sich für Müller als Erstes die Frage, wer ohnehin mit einem passenden Material arbeitet, das an diesem oder jenen Ort vertretbar ist. „Es muss nicht immer der Top-Name sein, der dahinter steckt“, präzisiert Müller.

Als Zauberwort für das richtige Verhältnis zwischen Künstler und Aufstellungsort benutzt Müller die ausgewogene Spannung. Hier ein Negativ-Beispiel: Zum Diner im örtlichen „Alten Wirt“, der von der Grünwalderin auch beraten wird, würde eine Kriegsszene nicht passen. In dem feinen Ambiente mit Wohlgerüchen, flackerndem Kerzenschein und erstklassiger Bio-Küche empfänden die Gäste die Kluft als abgeschmackt. Müller erklärt: „So etwas gehört in einen Ausstellungssaal, in ein Museum. Wir wollen keine Gefühle verletzen oder sie abstumpfen.“ Hier verläuft eine scharf umrissene, wenngleich unsichtbare Grenze. „Ich habe auch schon Aufträge abgelehnt, die mir nicht erfüllbar schienen“, betont sie . Was jedoch sehr selten vorkam.

Ihre Inspiration bekommt sie unter anderem auf ihren Reisen zu den bedeutenden Messen in Frankfurt, Berlin, Basel, Amsterdam oder Düsseldorf. Als erfrischend erlebte sie während regelmäßiger Aufenthalte in Südfrankreich die dortige Künstlerszene, die ein unverkrampftes Verhältnis zur Malerei pflege und auch zur Schönheit, die Raum in der Darstellung findet. „Bei uns hat man viele Jahre lang die Hässlichkeit zum Qualitätsmerkmal erhoben.“ Der Künstler musste sich zuerst vom Belzebub des Dekorativen und Gefälligen trennen, bevor er zu den Weihen zugelassen und von den Kollegen geschätzt wurde. Mit dieser Form der Wertschätzung stimmt die Grünwalderin nicht überein und bringt das so auf den Punkt: „Weder Schönheit noch Hässlichkeit sind ein Bewertungskriterium für die Qualität einer Arbeit.“

Eine große Anstrengung für eine ungewöhnliche Ausstellung unternimmt die Kunstvermittlerin seit Monaten in Jordanien. Hier plant sie eine Ausstellung im Nationalmuseum in Amman unter dem Titel „Children meets Art“, die im November anläuft. Dazu rekrutierte sie 27 Künstler aus Europa und dem arabischen Raum und hat sich längst im Koran über das vermeintliche Bilderverbot kundig gemacht. In der einschlägigen Stelle bei Mohammed heißt es: „Ein Engel betritt kein Haus, in dem ein Bild oder ein Hund ist.“ Müllers Auslegung: Gemeint sind Götzenbilder, ein generelles Bilderverbot gebe es nicht. Die arabische Welt hält sie in dieser Hinsicht für einen unentdeckten Kontinent. Bisher fand ein solcher Austausch zwischen westlichen und arabischen Künstlern noch nicht statt. Aber gerade darin sieht Eva Müller ihre Aufgabe: „Neue Wege beschreiten.“